Die hohen Befolgungskosten der Mehrwertsteuervorschriften sind vielen Unternehmen, die grenzüberschreitenden Handel treiben, ein Dorn im Auge. Das derzeitige System der Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten beruht nach wie vor auf einer 25 Jahre alten „Übergangsregelung". Die EU-Kommission befand: Zeit zu handeln. Sie veröffentlichte am 4.10.2017 ein „ Follow-up zum Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer ". Zur Umsetzung des endgültigen Mehrwertsteuersystems für den unionsinternen Handel zwischen Unternehmen veröffentlichte sie zudem diverse Vorschläge an Rechtsvorschriften ( COM(2017) 567 final ,COM(2017) 568 final , COM(2017) 569 final ).
Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) nahm dies zum Anlass, in seiner Stellungnahme S 01/18 vom 16.02.2018 auf Schwachstellen der Vorschläge hinzuweisen und Lösungen anzuregen. Diese sollte der ECOFIN in der weiteren Diskussion dringend berücksichtigen.
I. Welche Neuerungen kommen auf die Steuerpflichtigen zu?
Die EU-Kommission plant in der Endstufe der Gesetzesänderungen, den Steuergegenstand „Lieferung innerhalb der Union" zu schaffen. Damit würde das jetzige System – Ausführung einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Abgangsmitgliedstaat und der steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsmitgliedstaat - abgelöst. Die Besteuerung soll dann auf dem Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat beruhen. Umsetzen möchte die EU Kommission ihre Pläne in zwei Schritten: In einem ersten Schritt wird dabei die B2B Lieferung von Gegenständen innerhalb der EU geregelt. In einem zweiten Schritt ist geplant, die Mehrwertsteuerbehandlung auf alle grenzüberschreitenden Leistungen - somit auch auf Dienstleistungen - auszuweiten. Die Pläne sollen ab 2022 umgesetzt werden. Die Umsetzung des zweiten Schrittes soll dann nach angemessenem Monitoring frühestens fünf Jahre später (2027) geprüft werden.
Ungeachtet dessen sehen die Pläne der EU-Kommission auch kurzfristige Verbesserungen des derzeitigen Mehrwertsteuersystems („Provisorien") vor. Die geplanten Maßnahmen umfassen u.a. Neuerungen im Zusammenhang mit den Vorschriften der Mehrwertsteuerbefreiung von innergemeinschaftlichen Lieferungen sowie zur Vereinfachung der Reihengeschäfte.
Vereinfachend dargestellt, ergibt sich folgender Ablaufplan:
( Den Ablaufplan finden Sie im Originalbeitrag auf der Homepage des DStV )
Der DStV drängte in seiner Stellungnahme darauf, u.a. folgende Gesichtspunkte stärker zu berücksichtigen:
II. Der zertifizierte Steuerpflichtige als Bestandteil des Mehrwertsteuersystems ist als kritisch zu bewerten
Die EU-Kommission plant, den sog. zertifizierten Steuerpflichtigen einzuführen. Dieser stellt ein Novum im Mehrwertsteuersystem dar. Die neuen positiv zu sehenden Provisorien sollen nur dem zertifizierten Steuerpflichtigen zugutekommen. Auch in der Übergangsphase profitiert der zertifizierte Steuerpflichtige. Als Empfänger wendet er im grenzüberschreitenden Warenverkehr das Reverse-Charge-Verfahren an. Der DStV lehnt diese Entwicklungen ab.
1. Hoher Umstellungsaufwand droht
Die Implementierung des Qualitätsmerkmals „zertifizierter Steuerpflichtiger" wird mit einem hohen Umstellungsaufwand für die Betroffenen verbunden sein. Steuerpflichtige müssen beispielsweise zunächst prüfen, ob sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen danach ein Antragsverfahren durchlaufen und letztlich sicherstellen, dass keine Änderungen eintreten, die den Status gefährden. Das bindet Kapazitäten. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen werden hier Mühe haben, entsprechende Ressourcen vorzuhalten.
2. Zweiklasseneinteilung von Steuerpflichtigen und Wettbewerbsverzerrung zu befürchten
Die Voraussetzungen, die ein zertifizierter Steuerpflichtiger nachweisen muss, um den Status zu erlangen, sind sehr umfangreich. Kleine Unternehmen würden diese Nachweise deutlich schwerer erbringen können als große Konzernunternehmen, da sie weniger Personalressourcen haben. Kleine Unternehmen, die aufgrund des zu hohen Aufwands auf die Zertifizierung verzichten müssten, könnten darüber hinaus automatisch in Verdacht geraten, weniger zuverlässige Geschäftspartner zu sein. Dies könnte unweigerlich zu einer Benachteiligung, zum Beispiel bei etwaigen Ausschreibungsverfahren, führen. Der Rückschluss, dass gegenüber nicht zertifizierten Steuerpflichtigen erhöhtes Misstrauen geboten ist, kann eine fatale Signalwirkung im grenzüberschreitenden Warenverkehr setzen. In Folge würde statt des verfolgten Ziels, den Binnenmarkt zu stärken, die gegenteilige Wirkung erreicht. Der grenzüberschreitende Handel würde insoweit erschwert. Der DStV lehnt solche Auswirkungen ausdrücklich ab.
Die Zweiklasseneinteilung würde zu einer unnötigen Wettbewerbsverzerrung am Markt führen. Diese würde den funktionierenden Binnenmarkt einschränken. Es besteht zudem die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für das Antrags- und Kontrollverfahren unterschiedlich streng auslegen. So kann es zu zusätzlichen Verzerrungen im Wettbewerb kommen.
3. Rechtsstreitigkeiten durch unklare Anforderungen zu erwarten
Auch die Voraussetzungen, die ein Steuerpflichtiger erfüllen muss, um die Zertifizierung zu erhalten, rufen mehr als nur ein Fragezeichen hervor. Sie orientieren sich stark an den Voraussetzungen des Art. 39 Buchst. a bis c des Zollkodex der Europäischen Union (UZK). Dieser regelt die Bewilligung des Status eines sog. zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (ZWB) im Unionszollrecht.
An dieser Stelle weist der DStV darauf hin, dass das Motiv des ZWB rein zollrechtlicher Art ist. Es ist kein Instrument der Einnahmensicherung. Vielmehr dient es der Gefahrenabwehr, also der Sicherheit bei der Bewegung der Ware. Daher erscheint eine so starke Anlehnung an die Vorschriften des UZK für Zwecke der Mehrwertbesteuerung zweifelhaft.
Im Zollrecht wird die Regelung des Art. 39 UZK durch Durchführungsverordnungen ergänzt, die die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale erleichtern. Für Zwecke der Einführung des zertifizierten Steuerpflichtigen im Mehrwertsteuersystem fehlen bislang sämtliche Konkretisierungen. Der DStV fordert hier dringend Abhilfe, falls das Merkmal des zertifizierten Steuerpflichtigen verwirklicht werden soll.
Warum bedarf es solcher Konkretisierungen? Ein Beispiel: Antragsteller dürfen zur Erreichung des Status keine schwerwiegenden oder wiederholten Verstöße gegen die steuer- oder zollrechtlichen Vorschriften sowie keine weiteren Straftaten im Rahmen ihrer Wirtschaftstätigkeit begangen haben. Für Zwecke der Mehrwertbesteuerung ist bislang völlig unklar, ab wann ein Verstoß als „schwerwiegend" zu qualifizieren ist. Auch ist nicht klar, ob, etwa wie im Zollrecht (vgl. Art. 24 UZK-IA), unter „Antragsteller" auch leitende Angestellte in die Prüfung einbezogen werden können. Hierzu ist zu sagen, dass insbesondere die Abfrage von Steueridentifikationsnummern von Mitarbeitern im Rahmen der Neubewertung von zollrechtlichen Bewilligungen stark umstritten ist. Das Finanzgericht Düsseldorf hat in diesem Zusammenhang dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob eine solche Abfrage überhaupt mit geltendem Datenschutzrecht vereinbar ist (EuGH, anhängiges Verfahren, Az. C-496/17).
III. Verbesserung beim innergemeinschaftlichen Reihengeschäft greift zu kurz
Der DStV begrüßt, dass die EU-Kommission Regelungen zum innergemeinschaftlichen Reihengeschäft in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verankern möchte. Dies ist im Zuge der Rechtsklarheit ein Schritt in die richtige Richtung. Fragen, die bisher der EuGH klären musste, würden reduziert. Bedauernswert ist jedoch, dass nach den Plänen der EU-Kommission nur dann ein Reihengeschäft vorliegt, wenn sowohl der Verkäufer als auch der Zwischenhändler zertifizierte Steuerpflichtige sind. Es ist aber für alle am Warenverkehr Beteiligte eine Klarstellung hinsichtlich der Zuordnung der Lieferung geboten. Der DStV plädiert daher dafür, die Anknüpfung an den Status des zertifizierten Steuerpflichtigen zu streichen.
IV. Anhebung der Voraussetzungen erschwert die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen
MwSt-Identifikationsnummer und Zusammenfassende Meldung (ZM) sollen materiell-rechtliche Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung werden. Wenn die korrekte ZM Tatbestandsvoraussetzung zur Gewährung der Steuerbefreiung wird, erhöht sich ihr rechtlicher Stellenwert enorm.
Nach derzeitiger Rechtslage stellt die unrichtige Abgabe einer ZM lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar. Diese kann mit Geldbuße geahndet werden. Künftig könnte eine fehlerhafte ZM dazu führen, dass die Steuerbefreiung versagt und in Folge eine steuerpflichtige Lieferung vorliegt. Erkennt der Steuerpflichtige dies nicht rechtzeitig, drohen ihm steuerstrafrechtliche Konsequenzen wegen unterlassener Mehrwertsteueranmeldung. Der DStV plädiert daher dafür, auf die Einbeziehung der korrekten ZM für die Steuerbefreiung zu verzichten.
V. Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens gefordert
Der zertifizierte Steuerpflichtige soll auch in der Übergangsphase zur Umsetzung des endgültigen Mehrwertsteuersystems eine Rolle spielen: Ist der Empfänger im grenzüberschreitenden Handel zertifizierter Steuerpflichtiger, so soll das Reverse-Charge-Verfahren greifen. Der zertifizierte Steuerpflichtige würde mithin die Mehrwertsteuer schulden.
Das Reverse-Charge-Verfahren ist ein gängiges Mittel gegen Mehrwertsteuerbetrug. Dadurch, dass der Warenempfänger sowohl Schuldner der Mehrwertsteuer als auch Vorsteuerabzugsberechtigter ist, sinkt das Risiko des Mehrwertsteuerbetrugs. Aus Sicht des DStV sollte das Verfahren daher nicht auf die ohnehin zuverlässigen zertifizierten Steuerpflichtigen beschränkt sein. Vielmehr sollte das Verfahren auf sämtliche grenzüberschreitenden Warenbewegungen im B2B-Bereich angewendet werden.
Pressemitteilung vom 15.02.2018, Deutscher Steuerberaterverband e.V.